eine ganz persönliche Reise

OT: Vorwort: Teilweise sind das einfach Erinnerungen, teils alte kurze Aufzeichnungen zu Fotos –  Fotos gibt es ein paar, die ich inzwischen eingescannt habe.  Ich hoffe, dieser Bericht gefällt euch.

Beim Schubladensortieren der Bilder in meinem Kopf stieß ich auf einige Fragmente. Sehr intensiv und emotional besetzt waren sie, sodass ich mich auf eine Reise in meine Erinnerungen aufmachte. Teils Verdrängtes, teils als gesicherte Erkenntnis Abgespeichertes trat da zu Tage.

Ich beschloss das Vergangene aufzuschreiben, bevor es nur noch ein Sumpf von Erinnerungen ist: – meine erste Reise nach Irland

[b]begin with the beginning[/b]

Flüge sind zu teuer, wer fliegt 1976 schon per Linienflug dorthin? Also bringt mich  am 26.06.1976 der Zug von Duisburg

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nach Zeebrügge, danach die Fähre nach Dover, der Zug nach London, der nächste nach Swansea und wieder die Nachtfähre nach Cork in Irland. Und es ist die Zeit, das Warten überall und stundenlang, die diese Reise zusammenhält. Der Weg ist letztlich wirklich das Ziel.
Meine zwei Bücher stecken im selbstgenähten Rucksack, meine Finger scheinen zu gelähmt, sie herauszuholen und so schaue und schaue und warte und warte ich. Menschen, Landschaften, Häuser ziehen am Zugfenster an mir vorbei. Dazwischen immer wieder Wartezeiten an Bahnhöfen, Fähren, niemand zum Reden dabei. Aber auch keine Lust darauf, überhaupt den Mund zu öffnen, außer fürs Trinken und Atmen.

[i]Es ist jetzt genau 01.00, ich sitze in der Snackbar des Terminals in Zeebrügge und warte aufs Schiff. Der Kaffee belebt mich etwas. Hier ist mehr Betrieb, als ich vermutet hätte. 3 Tische weiter sitzt ein bärtiger Riese und schläft.
Es ist 5 vor 6, gerade war ich eine Stunde an Deck und sah die Sonne im Morgennebel aufgehen. Obwohl ich keine Minute geschlafen habe, fühle mich richtig gut.
Der Zug nach London ist ein regelrechter Bummelzug. Der Betrieb in der U-Bahn ist unwahrscheinlich hektisch, zweimal muss ich umsteigen nach Paddington. Als ich etwas verzweifelt einen alten Mann frage, wie ich dorthin komme, zeigt er auf eine riesige Tafel mit den ganzen Stationen, mein etwas hilfloser Blick darauf lässt ihn lächeln und er sagt: “follow me, girl.” Mit schnellen Schritten geht er voraus und er bringt mich tatsächlich bis hin nach Paddington. “good yourney and greetings to the green isle”. Er verneigt sich leicht und ist weg, bevor ich ihm danken kann. Gerade noch erreiche ich den zug nach Swansea.

Das Rathaus von Swansea

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Als ich zur Fähre gehe, hält auf etwa halber Strecke ein wackliges, altes Auto. ein drin sitzender Mann, klein, schmächtig, mittleren Alters fragt, ob ich zur cork-Ferry wolle. ok, move in. Am Fährhaus setzt er mich ab und wünscht mir: a very good yourney![/i]

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Auf die Corkferry warte ich 4 Stunden. Ich gehe den Kai entlang und suche mir ein Fleckchen Gras, wo ich die Schiffe beim Ein- und Auslaufen beobachten kann und lege mich lang hin, den Kopf auf den verschränkten Armen. Es scheint mir, als ob die Zeit in Tropfen vom Himmel fällt und ich frage mich : langweile ich mich oder was ist das?
Die Zeit nimmt in meinem Kopf einen solchen Platz ein, dass ich zu nichts anderem fähig bin, als ihr zuzuschauen, wie sie vergeht. Im allerletzen Moment besteige ich die Fähre und falle in meiner Koje in einen traumlosen Schlaf, an dessen Ende wie ein Geschenk das Einlaufen in den Corker Hafen liegt.
Langeweile oder lange Weile?

So gegen 1/2 6 halte ich es nicht mehr in meiner Koje aus und gehe an Deck, gerade rechtzeitig um erstmals irischen Boden zu sehen, immer an der Küste entlang Richtung  Cork

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Manchmal denke ich, dass die altmodische Art des Reisens ohne all die Fliegerei schon sehr viel für sich hatte. Man bemerkt noch die Bewegung des Reisens selber und nicht nur Start oder Landung. Vielleicht bilde ich es mir ein, aber das Ankommen ist ein anderes und der Genuss des Reisens intensiver.

Ich weiß die Uhrzeit nicht mehr, wann ich ausbooten kann, es ist irgendwas so gegen 10.00 Uhr am Morgen. Ich wandere in die Stadt hinein, noch ganz benommen von den Eindrücken der letzten zwei Tage. Die Stadt erscheint mir viel zu groß und zu laut. Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich Cork einmal lieben würde. Aber erst ist mein Hunger zu stillen, da die Fährüberfahrt ohne Frühstück gewesen ist. Ein kleines “Old Kentucky” liegt etwas versteckt, gerade passend für meine erste Mahlzeit auf irischem Boden.

Ich bestelle toast & butter und völlig überrascht, dass so etwas in einem Restaurant angeboten wurde: ein großes Glas Milch. Echt köstlich !  Ich schultere nun wieder meinen Rucksack und hänge mir die unförmige schwarze Tasche vor den Bauch, die noch mit allerlei vollgestopft ist. Diese Taschen sind damals modern, aus Kunstleder, sehr groß, viereckig.

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Ich suche den Busbahnhof, der noch nicht so komfortabel ausgeschildert  und überdacht ist wie heute. Eigentlich ist es nur eine Anreihung von Busschildern und  selten steht ein Ziel daran, welches ich identifizieren kann. Ein freundlicher Busfahrer hilft mir weiter, auf seine Frage, wohin ich denn wolle, antworte ich schlicht: “to the sea”, was ihn zum Schmunzeln bringt. “Take the bus to Kinsale.” ok, ich suche den Bus, finde ihn nicht und nehme einfach den nächsten, der irgendwohin fährt. Hauptsache raus aus der Stadt. An der vierten Station außerhalb der Stadt frage ich den Fahrer, wo ich aussteigen muss, wenn ich hinterher nach Kinsale weiter möchte. Er guckt mich groß an. ok, in etwa die Richtung geht es, aber von X seien es doch noch mal ein 12 Meilen bis Innisshannon zu laufen, von dort aus sollte es einen Bus bis nach Kinsale. geben. Er winkt mir, als ich aussteigen muss und ich springe hinaus. Juchu, endlich laufen.
Wenn der Trageriemen dieser verflixte schwarzen Tasche bloß nicht so einschneiden würde…
Nachdem ich ca. eine Stunde gelaufen bin, bleibe ich stehen. Ob ich versuchen soll zu trampen? Alle, aber wirklich alle Leute haben mir abgeraten zu trampen. Als Mädchen alleine macht man sowas nicht und dann noch in einem fremden Land undund. Ach, alles Quatsch, die Füße beginnen zu schmerzen und ich stelle mich an die Straße und winke. Innerhalb kurzer Zeit hält ein Auto, in dem ein recht dicker Mann sitzt. Er brabbelt mich voll und ich merke, dass er mir verdammt unangenehm ist. Ab und an bewegt sich seine Hand vom Steuerknüppel weg, ich beobachte sie und beschließe grimmig, sie zu schlagen, wenn sie meinem Knie noch näher kommt. Ich muss dazu sagen, dass ich einen Jeansrock trage, nicht wirklich kurz, knie umspielend, aber weiter als bis an die Kante meines Sitzes kommt er nicht. Er erzählt etwas von einem Bankstreik, worunter ich mir nicht so wirklich etwas vorstellen kann. Und wie unangenehm das alles sei, weil er ja nicht an sein Geld könne. Sonst könne er einem hübschen Mädchen ja was ausgeben. Eine Bank, die streikt? Sowas habe ich noch nie gehört. Wie gut, dass ich einige irische Pfund eingetauscht habe, mal schauen, wie weit ich damit komme. Plötzlich meint er missmutig zu mir, ich solle besser ein besseres Englisch lernen, bevor ich andere Länder bereise. Äh, ich hab doch fast nix gesagt. Als ob ich wagen würde, ihn in seinem Monolog zu unterbrechen. Wo ich denn raus wolle? Es wäre nicht mehr weit zu seinem Haus. öh, an der nächsten Straßenkreuzung. Schade, er hätte mir ja sonst daheim einen Tee anbieten können. Örks, nein danke, ich muss wirklich weiter. Und als er mich aus dem Auto entlässt, verabschiede ich mich fast herzlich von ihm, so froh bin aus dieser komischen Situation heraus zu kommen. Sowas ist mir später beim Trampen nie wieder passiert, wie gut, dass ich mich von dem Typen nicht habe entmutigen lassen.

Von hier aus sind es nur noch etwa 2 Meilen nach Innisshannon. Die Tasche drückt und bummert immer wieder gegen Oberkörper und Hüfte. Ich bleibe vor einem kleinen shop stehen und entdecke, dass er gleichzeitig die Postfiliale ist. Nichts wie rein. Ich nehme die Kamera aus der Tasche, packe die Filme in den Rucksack, werfe sonst nur noch einen flüchtigen Blick auf den Inhalt, frage nach Klebeband, verklebe die Tasche und schicke sie nach Deutschland zurück. Porto zahlt Empfänger! Das Problem wäre gelöst. Ich kaufe noch Milch und zwei Äpfel und wandere beschwingt wieder los. Ja, ich bin komplett ohne Verpflegung in Deutschland gestartet. In meinem jugendlichen Leichtsinn dachte ich mir, dass die Menschen ja überall essen und ich schon etwas finden werde. Ich folge der Straße, die Karte meines Grieben-Reiseführers verrät, dass ich da und dort hin muss, um weiter in Richtung Kinsale zu gelangen.

Ich wandere spontan eine andere kleine Straße entlang, nicht mehr die in Richtung Kinsale, die mich zum Shippool Wood bringt.  Sitze ein paar Meter ab von der Straße am Fluss, mache ein Milch-Apfel-Picnic  schaue über das Wasser zu einigen Schwänen hinüber.

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Still und angenehm schattig ist es hier. Aber leider muss ich ja weiter, heute Nacht möchte ich in der Jugendherberge in Kinsale nächtigen. Heutzutage würde ich mir einfach einen netten, halb versteckten Platz suchen, um dort bis zum nächsten Tag zu bleiben, aber so weit bin ich noch nicht.
Ich verlasse den schönen, weiten Fluss und gehe zur Straße zurück

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