eine ganz persönliche Reise

Ich nehme nur meine Wasserflasche, einen Apfel und die Kamera mit, hänge mir die dünne blaue Regenjacke geknotet um die Hüften, während H sich mit einer kompletten Kameratasche und unterschiedlichen Objektiven abschleppt und auch noch einiges an Proviant und eine richtige Regenjacke mitnimmt. Es sieht zwar nicht nach Regen aus, aber das scheint seine Grundausstattung zu sein. Bei der recht geringen Größe der Insel halte ich das alles für vernachlässigungswert, aber ich warte, bis er alles “gepackt” hat. Wir gehen erst in Richtung Leuchtturm, ich verspreche mir davon eine weite Sicht über die Insel. Bei gutem Wetter kann man von verschiedenen Punkten aus den Fastnet Rock  mit seinem Lighthouse sehen. Es ist noch leicht kühl, es verspricht aber ein sonniger Tag mit guter Fernsicht zu werden. Wir wandern kleine Pfade und kaum befahrene Sträßchen entlang (nur Einheimische dürfen hier ein Auto haben, diese sind meist sehr klein, aufgrund des Salzgehaltes der Luft rostig und überwiegend uralt). Es ist wundervoll außer mal einem Trekker oder einem fernen Fischerboot keinerlei Motorengeräusche zu hören.

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Als wir oben ankommen, habe ich das Gefühl noch nie in meinem Leben so frei geatmet zu haben. Ganz weit hinten am Horizont sieht man den Fastnet Rock, sehnlichst wünsche ich mir, dort einmal hin zu fahren. Ich weiß, dass er das Ziel eines sehr bekannten Segelrennen (Admiral´s Cup) ist. Ich stelle mir vor, da oben zu stehen und die vielen kleine Boote ankommen zu sehen. Damals weiß ich (natürlich) noch nicht, dass es ein sehr tragisches Rennen geben wird (1979) mit Toten, gekenterten Booten, vielen Verletzten – kann mir überhaupt nicht vorstellen, mit welcher Wucht ein Orkan in diesen doch recht geringen Meerestiefen wüten kann. Trotzdem wirkt dieser weiter Blick aufs Meer sehr beeindruckend, nicht bedrohlich, aber sehr respekt heischend.

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Obwohl die Insel nicht groß ist, streife ich mehrere Stunden umher, manche Teilstücke gehen wir zusammen, dann trennen sich wieder unsere Wege. Nach dem ersten “ich geh schonmal vor” während einer Fotografierorgie von H, weil es mich einfach auf andere Wege zieht und die ganzen Objektivwechsel und Perspektivwechsel etc mir einfach zu langweilig sind und einem darob erstaunten Blick von ihm, stromere ich einfach durch die Gegend, wie es mir grad behagt.

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Am North Harbour treffen wir mal wieder mal zusammen und suchen den kleinen Süßwassersee, der auf dem sogenannten Oberland liegen soll, ich frage einen Bauern, der uns den Weg weist. Ein boreen führt zu ihm hin, er ist wirklich etwas besonderes: ein schilfumstandener See, mehrere Meter hoch über dem Meer. Wenn man einige 20 Schritte weitergeht kommt man zu den Klippen, die steil zum Meer abfallen. Niemals würde ich vom Meer aus so hoch oben einen See vermuten.

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Am See treffen wir auf das Paar, welches sich hier schon einen Platz für ihre Schlafsäcke ausgesucht hat. Sie bringt gerade einen kleinen Kocher in Gang, um Tee zu kochen und fragt mich, ob ich gern eine Tasse haben möchte. Natürlich ja und ich setze mich zu ihr. Ihr Freund murmelt etwas freundliches, geht auf die Klippen zu, schwingt die Beine hinüber und klettert wie eine Bergziege hinunter. Mir stockt förmlich der Atem und H schaut beeindruckt und geht näher zum Klippenrand. Die Frau lacht und erklärt mir, dass sie sich das auch nie zutrauen würde, aber er würde jeden Tag hinunter klettern und im Meer schwimmen.
Ich bin wirklich und wahrhaftig beeindruckt.

Sie holt zwei Becher aus ihrem Rucksack, gibt mir einen und schüttet sich und mir Tee ein. Das tut unwahrscheinlich gut, den heißen Tee zu schlürfen und dabei abwechselnd auf den See und die Klippen zu schauen.
Der Kocher fasziniert mich und auch die Vorstellung so etwas dabei zu haben, um sich irgendwo da draußen Wasser für Tee etc zu kochen. Damals war das ja alles noch viel ungewöhnlicher und für mich, da ich ja seit meinem 6. Lebensjahr Stadtkind bin, vollkommen neu und spannend.
Da es nach dem Stand der Sonne bereits später ist (meine Uhr liegt wie üblich irgendwo herum, vermutlich auf meinem Bett), verabschiede ich mich nun mit Dank für den Tee. “Vielleicht sehen wir uns ja noch später”.
ja, das wäre schön.
Im hostel zurück, verschwinde ich erstmal im Zimmer und lege mich aufs Bett. Ich weiß das noch genau, es ging mir so viel im Kopf herum …. und ich merke gar nicht 😉 , dass ich einschlafe.
Erst als andere aus dem 6-Bett-Zimmer hereinkommen, werde ich wieder munter, dusche, besehe im Spiegel meinen fetten Sonnenbrand und gehe danach hinunter in die Küche. Als ich wieder mein Brot mit Käse mümmele, werde ich von H gefragt: “Isst du nie etwas anderes als Brot und Käse?” Huch? “Doch sicherlich, aber Geld is grad knapp, die Banken streiken, nech?” Was manche Leute sich für einen Kopp machen, ich werd das nie begreifen.

Aber los nun, von der JH gehen etliche nun los zum Pub, der ist auf der anderen Seite der Bucht, fast schon am North Harbour. Laut schwatzend und lachend gehen wir los, d.h. eigentlich schwatzen mehr die anderen, in Gruppen bin ich eher ruhig.
Der Pub ist sehr voll, ich hätte nie gedacht, dass SO viele Leute überhaupt auf der Insel leben würden. Wir besorgen uns nen pint of Guiness oder ein cider und dann geht es auch schon los. Direkt an der Bar sitzen ein paar (aus meiner Sicht) eher alte Männer, einer hat eine fiddle, der andere sowas wie ein Brett mit Saiten (sowas hab ich noch nie gesehen), während der dritte singt. Und wie der singt! Im Nu ist eine solche Stimmung, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Sie singen, spielen mehrere songs und fordern dann auf, dass jeder singen, spielen könne, der dazu Lust und Freude habe. Eine Frau und ein Mann gehen nach vorne, singen ein Lied, und der fiddle-spieler macht mit und spielt dazu. gut, wirklich, aber nicht ganz so gut wie die anderen vorher. In der entstehenden Pause gehen mehrere zur Bar und holen sich neue Getränke. Die Luft ist zum Schneiden dick, die Tür wird geöffnet und köstliche Nachtluft strömt herein. Dadurch, dass sich einige Bier und Cider holen, mischt sich das ganze etwas und ich stehe nun neben einem recht alten Mann mit alten Hosen, dickem Pullover und hohen Gummistiefeln. Der zwinkert mir zu, hübsche Mädels wären heute ja hier. Und wo ich denn her käme und vor allem, wie es mir auf der Insel gefalle. Na, da fällt die Antwort wirklich nicht schwer, obwohl ich noch nicht lange hier wäre, würde ich Cape Clear schon lieben. Er lacht und sagt: jaja, wenn ich nicht so alt wäre…. würd ich dir Cape Clear schon zeigen, girl. Er erscheint mit mit Sicherheit etliche 70 vorbei, hat aber ein überaus tolles Lächeln und ich denk bei mir: boah, ne, der jetzt 45 Jahre jünger, des wärs.
H kommt herbei mit einem half pint, den will er mir ausgeben, meint er. Na gut – denn mal danke.
Ein recht dürrer Typ geht nach vorne, er hält eine tin-whistle in der Hand, der Alte beäugt ihn misstrauisch und vertraut mir an: he is a Dubliner! Seine Blicke sprechen Bände.
Und dann beginnt der Dürre an zu spielen. Und ich wünsche mich von Sekunde zu Sekunde weiter fort, das ist so kläglich falsch, selbst für meine absolut nicht wählerischen Ohren, das tut echt weh. In einer deutschen Kneipe oder Kleinbühne wäre der mit Sicherheit ausgpfiffen worden, aber erstmals erlebe ich die wirklich große Höflichkeit der Iren. Wie kann man ihm jetzt sagen, dass es absolut katastrophal ist, wie er spielt? Die Leute beginnen sich wesentlich leiser zu unterhalten als vorher in den anderen Pausen. Als der Dürre sich verneigt und dann nochmal die whistle an die Lippen hebt, meine ich neben mir ein entsetztes Stöhnen zu hören. Der alte Farmer flüstert neben mir und entschuldigt sich zutiefst für dieses furchtbare Spiel, so etwas Schlimmes hat er sein Lebtag noch nicht gehört und das seien mehr als 70 Jahre, dass er auf dieser schönen Erde lebe. Obwohl ich nur jedes zweite Wort wirklich verstehe, weil er so zornig ist, ist durch seine Mimik sein Entsetzen direkt greifbar.
Als der Dubliner stoppt, ruft der Wirt laut: last order!!! Einige gehen, auch der Dürre, aber uns Leute von der JH hält der Farmer mit einer Handbewegung zurück. “Last order is a joke, we have no police here, who should stop us drinking and singing?”
Es ist immer noch voll, aber doch schon spürbar leerer. Der Wirt holt eine andere tin-whistle von irgendwo her und winkt in unsere Richtung. Mich kann der doch wohl nicht meinen, ich blicke mich um. Der Alte lacht und geht zur Bar. Und spielt.
Steht da vorn in seinen Arbeitsklamotten und dreckigen Gummistiefeln und spielt. Der fiddle-Spieler gesellt sich zu ihm, sie spielen offensichtlich bekannte Lieder, weil mehrere der Einheimischen laut mitsingen oder auf den wenigen Tischen mitklopfen oder Tanzschritte machen. Auch wir von der JH machen weitgehend mit, es ist einfach nur klasse, klasse, klasse.

Weit nach Mitternacht, nachdem die Music stoppt, leert sich der Pub immer mehr und auch ich beschließe zu gehen. Ich bringe mein Glas zurück an die Bar, Mr tin-whistler lächelt mir breit zu: “Was that a craic???” Aus vollem Herzen antworte ich: “YESSSS!!!! ”
Er lacht und sagt etwas auf gälisch, was überaus freundlich klingt.
3-4 von der JH sind schon vorgegangen, einige noch da. Ich gehe hinaus in die klare Nacht, ich könnte tanzen und singen. Es ist zwar sehr dunkel, aber ich erkenne mühelos den Weg.

Ich bin nur wenige Meter gegangen, als hinter mir jemand ruft. H ist scheinbar auch noch geblieben, irgendwie scheine ich ihn immer zu vergessen bzw nicht zu bemerken. ich warte also, damit wir zusammen gehen können. Er fragt, ob es mir nicht zu dunkel sei, bevor ich etwas sagen kann, fasst er nach meiner Hand. Oh. Irgendwie ist die Situation angespannt und ich höre, wie er heftig neben mir atmet. Was nun? Aber in mir ist so viel Lachen heute Nacht, dass ich etwas davon weitergeben muss. Ich küsse ihn recht lange, aber bevor er sich vielleicht etwas darauf einbildet, löse ich mich von ihm und gehe einfach weiter.
Der Warden hat für uns die Türe offen gelassen, sodass wir problemlos ins Haus können.

Später am nächsten Morgen schreibe ich in mein Tagebuch und einiges später, was ich da schrieb auch ins Album zu meinen Fotos:

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About Sternenstaub

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